12 Tipps für entwicklungsbezogene Kundeninterviews in Agile/Scrum

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Sohrab Salimi

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6 Minuten

Im Folgenden finden Sie eine Liste mit Tipps für erfolgreiche Kundeninterviews (besonders im agilen Kontext):

1) Interviewen Sie immer nur eine Person auf einmal

Fokusgruppen sind ein von Gruppendenken und Ablenkungen geprägtes Durcheinander. Versuchen Sie also, sie zu vermeiden und interviewen Sie immer nur eine Person auf einmal. Wenn Sie möchten, können Sie jemanden dazu holen, der währenddessen Notizen macht – viele UX Designer bevorzugen diese Methode. Manche mögen es lieber, wenn man wirklich nur unter vier Augen das Interview durchführt, denn dann sind die Leute etwas lockerer und offener. Allerdings ist es natürlich auch schön, jemanden zu haben, der alles dokumentiert. Dann kann man sich nämlich voll und ganz auf das Gespräch und die Körpersprache des Gegenübers konzentrieren.

2) Vorbereitet sein

Sie sollten Ihre Annahmen und somit auch Ihre Lernziele vorab festgelegt haben. Überlegen Sie, wen Sie interviewen möchten (Alter, Geschlecht, Ort, Job/Branche, Verdienst usw.) und suchen Sie dementsprechend die Kandidaten aus. Bereiten Sie den groben Ablauf und die Fragen für das Interview in einem Interviewleitfaden vor. Vielleicht schlagen Sie spontan während des Interviews doch einen anderen Weg ein – was vollkommen in Ordnung ist – Sie sollten aber trotzdem immer gut vorbereitet in ein Interview gehen.

3) Verhalten und Feedback trennen

Entscheiden Sie als Erstes, ob Sie etwas über das Verhalten und die generelle Einstellung des Nutzers lernen möchten und/oder ob Sie direktes Feedback bzw. Erkenntnisse im Hinblick auf die Nutzung des Produkts oder Mock-Ups haben wollen. Halten Sie diese beiden Dinge im Gespräch klar voneinander getrennt, denn sonst kommen Sie durcheinander.

„Verhalten und Mentalität” sollte das erste Thema in dem Gespräch sein. Achten Sie darauf, dass die Befragten nicht zu viele konkrete Features vorschlagen. Sie sollen sich darauf konzentrieren, ob sie ein Problem haben, wie der Problemraum aussieht und ob bzw. wie sie in der Vergangenheit versucht haben, das Problem zu lösen.

Wenn Sie Feedback zu einem Produkt einholen möchten (egal ob auf Papier oder digital), sollten Sie das tun, nachdem Sie schon etwas über das Verhalten und die Denkweise des Nutzers erfahren haben.

4) Über Informationen freuen, die man eigentlich nicht hören wollte

Wenn man das nicht tut, fängt man nämlich schnell an, Überzeugungsarbeit zu leisten oder etwas verkaufen zu wollen. Vielleicht hört man dann sogar einfach nur noch das, was man hören möchte – das nennt man einen „Bestätigungsfehler”. Dafür sind wir alle sehr anfällig. Ihr oberstes Ziel sollte es jedoch sein, etwas zu lernen. Vielleicht testen Sie aber auch in einem Experiment den Markt, überprüfen die Preiskalkulation oder schließen einen Verkauf ab. Das ist toll – jedoch sollten Sie diese Teile der Konversation voneinander trennen. Genau wie das Feedback sollten auch solche Dinge nicht in den Teil „Verhalten und Denkweise” einfließen.

5) Anti-Höflichkeits-Training

Menschen sind darauf trainiert, Babys anderer Leute nicht hässlich zu nennen. Um derart ehrlich zu werden, müssen sie sich sicher fühlen. Bitten Sie die Kandidaten also von Anfang an, brutal ehrlich zu sein, und erklären Sie ihnen, dass sie Ihnen so am besten helfen können. Wenn sie etwas irritiert wirken, erklären Sie, dass es das Schlimmste für Sie wäre, etwas zu entwickeln, was keinen interessiert.

6) Offene Fragen stellen

Stellen Sie nicht zu viele Ja/Nein-Fragen. Stellen Sie also beispielsweise weniger Fragen wie „Mögen Sie Groupon?” und mehr Fragen wie „Sind Sie an guten Deals interessiert und wenn ja, an welcher Art von Deals?”, „Was motiviert Sie, nach solchen Deals zu suchen?”, „Wie finden Sie gute Deals?” oder „Sind Sie von den Websites frustriert, die es momentan schon gibt?”.

Manchmal ist es recht schwierig, gar keine Ja/Nein-Fragen zu stellen. Daher sollte man danach zumindest immer fragen „Warum?” oder „Wie sind Ihre Erfahrungen damit?”.

7) Mehr auf konkretes Verhalten achten – weniger auf Gefühle oder Spekulationen

Um Nr. 3) noch einmal zu betonen: wir alle sind nicht besonders gut darin, unsere Handlungen vorauszusagen, unsere wahren Ziele zu erkennen, oder zu wissen, was wir wollen. Es ist nicht Ihre Aufgabe, die Person im Interview nach einer Lösung zu fragen. Vielmehr ist es Ihre Aufgabe, die beste Lösung zu finden und zu überprüfen, ob Sie damit wirklich Recht haben.

Menschen lieben es, über Features und Lösungen zu reden. Wenn Sie im Lernmodus sind, sollte das aber nicht die Konversation dominieren. Versuchen Sie sich auf die Fakten zu konzentrieren. Die Probanden sollen Ihnen erzählen, wie sie bisherige Probleme erlebt haben, ob sie versucht haben, diese zu lösen (wenn nicht, warum?), und was dann passiert ist. Sie sollen Ihnen auch von der Nutzung ähnlicher Produkte berichten. Natürlich sollten Sie einen Einblick in ihre Emotionen bekommen, jedoch sind Erfahrungen und tatsächlich aufgetretene Gefühle viel aussagekräftiger als Spekulationen.

Gerne wird die Frage gestellt „Wenn Sie ein Produkt herbei zaubern könnten, das alles kann, was Sie möchten, was wäre das dann?” Manchmal kommen dabei interessante Dinge heraus aber ich würde Ihnen empfehlen, diesen Antworten nicht allzu viel Gewicht beizumessen.

8) Zuhören und schweigen

Versuchen Sie, so wenig wie möglich zu reden und Ihre Fragen kurz und unbefangen zu stellen (integrieren Sie nicht schon die Antwort, die Sie gerne hören würden).

Wenn der Kunde eine kurze Sprechpause macht, fangen Sie nicht zu schnell wieder an zu reden, nur um die entstandene Lücke zu füllen. Vielleicht überlegt er noch und hat doch noch etwas zu sagen.

Denken Sie immer daran, dass Sie etwas lernen und nichts verkaufen möchten! (Zumindest nicht in diesem Teil der Unterhaltung.)

9) Folgen Sie Ihrem Instinkt und haken Sie nach

Jedes Mal, wenn Sie auf etwas Interessantes stoßen, sollten Sie nachhaken und weitere Fragen stellen. Zögern Sie nicht, nach Erläuterungen und dem „Warum” zu fragen. Mit der „Five-Whys”-Methode beispielsweise können Sie sogar noch genauer nachfragen, solange Sie dem Befragten damit nicht auf die Nerven gehen.

10) Das Gesagte wiederholen oder verändern

Wichtige Aussagen können Sie einfach wiederholen, um sie vom Gegenüber bestätigen zu lassen. Dabei kann das ein oder andere interessante Ergebnis herauskommen. Entweder wird man danach korrigiert, weil man es falsch verstanden oder wiedergegeben hat, oder der Interviewpartner hat so die Möglichkeit, noch einmal zu hören, was er gesagt hat, und es ggf. neu zu formulieren.

Sie können das Gesagte aber auch bewusst falsch wiedergeben und abwarten, ob Sie verbessert werden. Wenden Sie diese Taktik aber nur sehr selten an, wenn überhaupt.

11) Um Empfehlungen bitten

Versuchen Sie am Ende jedes Interviews, ein bis drei andere Interviewkandidaten empfohlen zu bekommen.

Falls es noch nicht klar ist: Man sollte es vermeiden, solche Interviews mit Familienmitgliedern und Freunden durchzuführen. Es gibt genug andere kreative Möglichkeiten, neue Probanden zu finden (die Taktik dafür hängt davon ab, wen man als Kandidat haben möchte). Am einfachsten ist es jedoch, wenn man weitere Personen empfohlen bekommt.

12) Möglichst schnell die Notizen aufarbeiten

Die Einzelheiten der Konversation geraten schnell in Vergessenheit. Wenn Sie die Unterhaltung nicht aufgenommen haben sollten, sollten Sie die Notizen und Kommentare so schnell wie möglich nachbearbeiten. Ich packe einfach alles in einen Dokument bei Google Docs, das alle im Team einsehen können. (Anmerkung: Einige Leute nehmen die Interviews nicht auf, weil sie Angst haben, die befragten Personen könnten vorsichtiger werden und andere Antworten geben. Allerdings gibt es auch genug Leute, die mit Aufnahmen arbeiten. Nach den ersten Startschwierigkeiten vergessen die meisten Probanden recht schnell, dass sie aufgenommen werden.)

Muster erkennen und dem eigenen Urteilsvermögen vertrauen

Aus dieser Art von Interviews bekommt man keine statistisch relevanten Daten. Aber man bekommt einen Einblick in gewisse Verhaltensmuster. Das alles zu interpretieren, kann recht schwierig sein, weil Menschen oft anders handeln, als sie es behaupten.

Man muss seinem Urteil vertrauen, zwischen den Zeilen lesen, Körpersprache deuten, den Kontext verstehen und herausfiltern können, ob die Kandidaten vielleicht in irgendeiner Weise befangen oder voreingenommen sind. Aber genau diese Fähigkeit – nämlich das menschliche Urteilsvermögen – macht Interviews so viel nützlicher als Umfragen.

Letzten Endes ist es doch besser, schnell voranzukommen und Entscheidungen anhand von zuverlässigen Verhaltensmustern zu treffen, als wegen „Paralyse durch Analyse” auf der Stelle zu treten.

Dieser Text stammt aus dem Blog von Giff Constable und wurde von uns ins Deutsche übersetzt.

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