Unternehmensstrategie vs. Produktstrategie

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Sohrab Salimi

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In diesem Artikel möchte ich auf einen wichtigen Unterschied und eine häufige Quelle für Frustration in Unternehmen eingehen. Es handelt sich um die Unterscheidung von Unternehmensstrategie und Produktstrategie. In vielen Unternehmen werden die beiden Begriffe verwechselt oder vermischt und das Ergebnis ist offensichtlich. Die leitenden Angestellten wollen sich auf die Unternehmensstrategie konzentrieren, müssen aber Entscheidungen auf einem viel niedrigeren Level treffen, auf dem sie sich weder wohl fühlen noch besonderes Interesse zeigen. Dabei kann es sich sowohl um bestimmte Produkte, Projekte und auch Features handeln, in die investiert werden soll, als auch um die gegenseitigen Abhängigkeiten dieser Features und Projekte. Häufig sind es aber auch akute Themen oder Konflikte, die gelöst werden müssen.

Ursachen für einen Strategie-Konflikt

Auf der anderen Seite wiederum verstehen die Produktmanager nicht die Gründe hinter den Entscheidungen, die ihre Produkte direkt beeinflussen. Sie haben das Gefühl, dass alle paar Monate eine Strategie vorgegeben wird und sie nicht eigenständig entscheiden und ihrem Job nachkommen können.

Sehr oft sitze ich mit leitenden Angestellten in Meetings zur Produktplanung, bei denen viele detaillierte Produktpläne vorgestellt werden – jedoch ohne den Unternehmenskontext einzubeziehen. Wenn ich dann frage, wie das alles mit der Unternehmensstrategie zusammenpasst, ernte ich nur irritierte Blicke. Oft ist die Begründung dann beispielsweise einfach nur, dass das Team den Gewinn steigern will und man deswegen diese Features hinzufügen möchte.

Unterschiede zwischen Unternehmens- und Produktstrategie

Bei der Unternehmensstrategie geht es darum, die Unternehmensziele zu identifizieren und zu entscheiden, wo man investieren muss, um diese Ziele zu erreichen. Der Übergang vom Direktvertrieb (Endverbraucher kaufen direkt beim Vertriebspersonal des Unternehmens) zum Online-Vertrieb (der Verkauf läuft über die Internetseite des Unternehmens), ist z. B. eine Unternehmensstrategie. Die Entscheidung, ob man Geld für eine Dienstleistung über Gebühren einnimmt oder mit Werbung, ist eine Unternehmensstrategie. In einen angrenzenden Markt vorzudringen, ist eine Unternehmenstrategie.

Natürlich hat jede dieser Unternehmensstrategien einige große Auswirkungen auf die Produkte. Aber es sind nicht alles die selben. Es gibt viele Möglichkeiten, etwas online zu verkaufen, etwas zu Geld zu machen oder ein Angebot zu entwickeln bzw. zu erwerben und zu integrieren. Die Produktstrategie zeigt, wie man die Unternehmensstrategie umsetzen möchte.

Und auch wenn man glaubt, eine tolle Geschäftsmöglichkeit gefunden zu haben, weiß man noch nicht, ob das Unternehmen diese Chance überhaupt erfolgreich nutzen kann. Vielleicht ist die Entwicklung zu teuer. Vielleicht schätzen die Kunden das Produkt nicht genug, um Geld dafür zu zahlen. Vielleicht ist die Nutzung für den Kunden viel zu kompliziert. An dieser Stelle kommen Produktstrategie und vor allem Product Discovery ins Spiel.

Das Unternehmen hat ein Investitionsportfolio und kann und sollte diesen Portfolio-Mix an die sich entwickelnden Geschäfte und Märkte anpassen.

Beispiel guter Unternehmens- und Produktstrategie: Amazon

Das Portfolio von Amazon beinhaltet beispielsweise die einzelnen Kategorien der E-Commerce Angebote, den Verkauf über Dritte, den Geschäftsbereich “Infrastrukturtechnologie” (Cloud Computing) und den firmeneigenen und wachsenden Bereich für Unterhaltungselektronik (ich liebe den Kindle). Amazon ist ein tolles Beispiel, weil man besonders viele Aspekte guter Unternehmensstrategien (und guter Produktstrategien) erkennen kann.

Amazon hat ein gutes Geschäft mit dem Verkauf von Büchern gemacht und war sehr innovativ in diesem Bereich. Aber anstatt sich nur darauf zu konzentrieren, diesen Geschäftsbereich zu verteidigen, hat man eine Investition getätigt, die die gesamte Branche revolutionieren könnte. Bei Amazon hat man nämlich eingesehen, dass man diese Idee selbst verfolgen muss, weil es sonst wohl jemand anderes tun wird. Ebenso hat man dort hart daran gearbeitet, innovative Technologien zu entwickeln, um den Nutzern ein differenziertes Erlebnis im E-Commerce bieten zu können. Allerdings ist Amazon auch führend dabei, diese Technologie anderen (Amazon Web Services) zur Verfügung zu stellen, weil es möglich ist, dass Cloud Computing eines Tages größere Ausmaße annimmt, als sie es selbst als Online-Händler bewältigen können.

Das ist eine Unternehmensstrategie und man kann gut die Portfolioplanung erkennen. Jeder dieser Geschäftsbereiche hat eine oder mehrere Produktstrategien. Als Nutzer von Amazon kann man auch die Entwicklung des Online-Handels sowie der “Amazon Web Services” Produktlinie erkennen – alle paar Monate wird ein weiterer Teil des Puzzles hinzugefügt. Außerdem kann man die Weiterentwicklung der E-Book-Reader und der dazugehörigen Technologien verfolgen.

Fazit: Produktstrategie vs. Unternehmensstrategie

Die Unternehmensstrategie und die Planung des Geschäftsportfolios geben einen Kostenrahmen und gewisse Geschäftskennzahlen vor. Die Produktorganisation versucht dann – innerhalb dieses Budgets und so aggressiv wie möglich – die besten Methoden zu verfolgen, mit denen man diese konkreten Kennzahlen erreichen kann.

Einige Produktstrategien werden erfolgreicher sein als andere und das wird die Portfolioplanung beeinflussen. Natürlich kommt nicht jede Geschäftsidee bei den Kunden an, daher besteht ein großer Teil der Unternehmensstrategie daraus, zu erkennen, wann man weiter investieren kann und wann man seine Verluste einschränken sollte, um in andere Dinge investieren zu können.

Zwei Methoden, die bei diesen Investitionsentscheidungen helfen können, sind “Opportunity Assessments” und “Product Discovery”. Was jedoch am wichtigsten ist, ist dass Sie die richtigen Fragen stellen und schwere Entscheidungen fällen können.

  • Die Geschäftsinhaber und die leitenden Angestellten sind also für die Unternehmensstrategie und die Portfolioplanung des Unternehmens zuständig.
  • Die Produktorganisation (besonders der “Director of Product Management”) ist zuständig für die Produktstrategie und die Portfolioplanung des Produkts.

Halten Sie diese beiden Konzepte klar getrennt, dann werden Sie die Ziele und Verantwortlichkeiten besser verstehen können und über besser gemanagte Unternehmens- und Produkt-Portfolios verfügen.

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